Sylvia Rieß


  

Erzähl uns doch ein wenig über dich und deine Arbeit bei der "Märchenspinnerei" die aktuell eine Kooperation mit dem Zeilengold Verlag hat:
Die Märchenspinnerei war ursprünglich einmal genau das, was der Name sagt: Eine Spinnerei. Es entsprang aus der Frage "Könnte man nicht...?". Also ganz konkret war es in 2016. Damals kamen so die ganzen Prinzessinnenromane auf. Bunte Cover, vorzugsweise glitzernde, wallende Ballkleider, irgendwelche Diamantfunkelnden Namen, die viel Glitzer, Glamour und die Suche nach der wahren Liebe versprachen. Nicht mein Fall. Und - meiner Auffassung nach - auch nicht das, was Märchen sein wollten. "Sonne, Mond und Thalia" - der Ursprung des Rapunzelmärchen zum Beispiel, ist eine Geschichte um Zwangsheirat und Vergewaltigung. Es geht nicht um einen Prinzen, der eine Prinzessin rettet. Sterntaler war ein herzzerreißendes Märchen von einem Kind, das in der falschen sozialen Klasse geboren war und am Ende blieben ihm die Sterne, sprich, der Tod unter freiem Himmel. All diese Märchen wollten den Menschen etwas geben. Ein Stück Lebensweisheit, ein Stück Reflektion des eigenen Daseins und manchmal auch nur ein: Selbst der herrschenden Klasse ging es oft nicht besser, denn sie wurden in Wölfe, Bären, Frösche verwandelt und die Rückverwandlung war niemals nur ein einfacher Kuss. Man musste sich selbst erkennen, Buße tun und manchmal einfach an die Wand geworfen werden, wenn man dreist  ins Bett der Angebeteten wollte. Diese Art von düstereren  Märchen, Geschichten mit ein wenig mehr Tiefgang, wollten wir erzählen und wir hatten keine Ahnung, ob unser Konzept, Altes zu bewahren und Neues zu erschaffen, dabei aufgehen würde.

Welche Herausforderung hatte für dich das Schreiben an "Die Tränen der Sidhe"?
Meine Arbeit hat sich dabei über die Zeit verändert. Am Anfang waren wir noch wenige. Damals hat das "Kernteam" fast alle Aufgaben allein meistern müssen. Sprich, wir schrieben nicht nur unsere Geschichten, denn um die sollte es ja letzten Endes gehen, nein, wir organisierten uns auch, was Homepage, Label, Aufmachung, Außenwirkung und öffentliche Auftritte betraf. Das war nicht immer ganz einfach und hat mir vor allem als erster in der Reihe mit "Der Axolotlkönig" gezeigt, dass es nicht einfach ist, 11 weitere Bücher, ihre Inhalte und die Kreativität ihrer Erschafferinnen zu coachen und dabei gleichzeitig noch Atem fürs eigene Werk zu haben. Bei den Sidhe war dann vieles anders. Mir wurden große Teile der Administrativen Arbeit abgenommen und ich konnte mich ganz auf den kreativen Teil konzentrieren.  Allerdings ist Schreiben nach "Auftrag" noch einmal etwas ganz anderes, als wenn man einfach den eigenen Kopf wild umherrennen lassen kann. Viele Dinge, wie Umfang und auch inhaltliche Aspekte waren vorgegeben. Sprich, das Buch durfte eine bestimmte Länge nicht überschreiten und sollte sowohl das Moderne als auch das Märchenhafte beibehalten, dabei aber nicht als Einzelstück dastehen. Anknüpfungspunkte zu seinem "Gegenspieler" sollte es geben, und dennoch sollten beide Geschichten, sich frei von einander entfalten. Das hieß natürlich auch vermehrt Absprachen mit dem Co-Autor und später dem Lektor. Alles in allem gab es Phasen, da habe ich echt geflucht, weil sich kurz fassen, mir nicht unbedingt liegt. Doch auf das Ergebnis bin ich in jeder Hinsicht stolz.  Zumal es wieder einmal ganz anders geworden ist, als jedes Buch, das ich davor geschrieben habe.

Welche Emotionen hat die Geschichte in dir hervorgerufen?
Über das Märchen und den groben Inhalt war ich mir schnell sicher. Extra mal was nicht so Bekanntes. Ich wollte nichts Abgedroschenes. Dafür blieb mir Arthur König lange fremd. Er war dieser Konzernmogul und ich wusste, ich wollte nicht, dass er am Ende wirklich "Der Böse" war. Denn darum sollte es gehen: Um zwei Seiten einer Geschichte, zwei Schicksale von Menschen, die sich in ihren unterschiedlichen Bedürfnissen einfach irgendwo auf dem gemeinsamen Weg verloren hatten. Arthurs Tochter Flora hingegeben, die ja gar nicht meine Protagonistin war, war mir eher vertraut. Das rebellierende Kind, das die Welt um sich nicht ganz verstand. Und dann kam der Punkt, ab dem alles leichter wurde. Mit dem magischen Element, das erst sehr spät in diese Geschichte fand, erkannte auch ich, dass es Arthur nicht viel anders ging als seiner Tochter. Nicht nur Flora verstand ihr Leben nicht ganz und haderte mit vielen traumatisierenden Ereignissen darin, nein. Arthur selbst war ein wichtiges Geheimnis seiner Frau und deren Familie nicht bekannt. Damit konnte er sie an manchen Punkten nicht verstehen und hatte durch die Lüge niemals die Chance der perfekte Ehemann oder auch nur ein guter Vater zu sein. Als am Schluss alles zusammen kam, konnte selbst ich für meinen harschen und zurückweisenden alten König sowas wie Verständnis und Zuneigung empfinden. Und die ersten Leserunden haben gezeigt, dass es den Lesern ebenso geht. Das macht mich sehr glücklich.

Welche Bedeutung haben die Sidhe für dich? Warum hast du ausgerechnet über sie geschrieben?
Irische, keltische und nordische Mythologie - aber eigentlich alle Sagen und Legenden, über die ich als Kind gefallen bin, haben mich von jeher wie magisch angezogen. Ich kam zum ersten Mal mit diesem speziellen Volk in Berührung, als ich eine Jugendvariante der Saga von Diarmaid und Grainne las. Grianne, die schönste Prinzessin, die je aus dem Geschlecht der irischen Hochkönige hervorging war einem alten Mann zur Frau versprochen. Diarmiad, der General dieses alten Königs, gezeichnet mit dem Mal ewiger Jugend und Schönheit flieht mit ihr, um sie davor zu bewahren. Der Patenonkel dieses tapferen Kriegers, der später Griannes Mann wird und leider einen tragischen Tod stirbt, ist niemand geringerer als der Sidhe-Fürst Angus von Brugh na Boinne. Der König von den Ufern der Boinne. Viele alten Sagen kommen zusammen am dem Ort, an den nun mein alternder König reist, unter anderem eben auch der Fakt, dass Angus den Krieger Diamaid nach seinem Tod in eben jenen Höhlen begraben haben soll, die für Arthur eine so wichtige Rolle spielen. Die Sidhe sind dabei seit jeher weder gut noch böse. Sie haben ihre ganz eigene Agenda, was manche Menschen Segen und andere Fluch ansehen. Das fand ich schon immer faszinierend.

Welches ist dein Lieblingsmärchen?
Ich bin diese Lieblingsmärchenfrage schon 100 mal gefragt worden. Ich denke ich habe sie keine zweimal gleich beantwortet, einfach, weil es dieses eine liebste Märchen nicht gibt. Ich finde so viele faszinierende, suche immer wieder nach neuen aus alten Kulturenkreisen und finde auch in Altbekannten immer wieder andere Aspekte. Das ist und bleibt das Beste an Märchen: Sie sind nicht eindimensional, sondern arbeiten mit so elementaren Elementen dessen, womit wir Menschen uns identifizieren, dass sie für jeden in jeder Lebenslage etwas anderes bereithalten können. 

Was können wir künftig noch von dir erwarten?
Wer meiner Seite folgt, der wird merken, dass es da derzeit ein wenig stiller geworden ist. Das hat zwei wesentliche Gründe: Zum einen gibt es bei mir dieses Jahr zwei sehr große "Events", die nicht mit den Büchern zu tun haben, die einfach Vorrang bekommen. Als hauptberufliche Tierärztin war immer die  eigene Praxis mein Traum, und die gründet sich halt nicht mal so nebenbei. Zum zweiten habe ich gemerkt, wie viel Zeit, auch von meiner kreativen Zeit, das Social Marketing frisst. Versteht mich dabei nicht falsch. Wer auf mich zukommt, der wird auch weiterhin Interviews von mir kriegen, denn ich rede einfach super gerne über den Kreativprozess hinter all meinen phantastisches Welten. Aber ein wenig sollten wir - damit meine ich auch Leser und Blogger - wieder daran denken: Wir leben nicht online für Likes und Klicks und Aufmerksamkeit. Ich schreibe meine Geschichten weil ich es "muss". Sie wollen raus. Sie wollen erzählt werden in all ihrer Unterschiedlichkeit. Das kann ich einfach am besten, wenn ich nicht jeden Tag darüber brüte, was ich denn jetzt den Followern für ein tolles - generisches - Irgendwas vor die Füße werfe. Gewinnspiele, Wer-wärst-du-wenn-Tabellen, Weltenbau-Anekdoten, Schreibschule ... all das gibt es doch schon zu Hauf. So viele Dinge werden wieder und wieder und wieder durchgekaut, einfach in der Hoffnung, dass man genug Aufmerksamkeit bekommt und die Leute "bei der Stange" halten kann.  Die sind es, denen 95% meiner Aufmerksamkeit gehören sollten. Wenn ich dann was habe, was mir am Herzen liegt, das ich erzählen möchte, dann berichte ich darüber, aber ich will mir kein festes Pattern zum Posten antun, ich will einfach keine vorgeplanten und "unechten" Beiträge auf Teufel komm raus mehr. Ich habe Spaß an meinen Geschichten und das sollt ihr auch haben. Darum dürft ihr auch als nächstes von mir wieder einen Ausflug in meine größte und für mich faszinierendste Welt erwarten: Mein Stern von Erui wird zu einem Teil in den Gesamt "Chroniken der Erui" und "Das Herz des blauen Drachen" wird die neueste Geschichte darin. Das Cover habe ich schon vor langem offenbart. Auch hier hänge ich natürlich aufgrund der oben genannten Praxisgründung und wenig nach. Aber mein Gefühl sagt mir: Erui braucht seine Zeit - und wenn es die bekommt, wird es weiterhin so magisch bleiben, wie schon im Stern.

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