Hallo meine Lieben,
heute haben wir einen weiteren Beitrag zu der gemeinsamen Aktion mit Nadine Stenglein.
Und zwar gibts es heute eine exklusive Leseprobe für Euch <3
Lest vorab hier das erste Kapitel des Romantic Fantasy Romans Aurora Sea.
Nächste Woche haben wir dann ein spannendes Gewinnspiel für alle, die wir mit dieser Leseprobe Neugierig machen konnten.
Spurlos
Mit einem Wort: Hör
nie auf mit diesen drei Dingen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Und wisse, dass das
Größte dieser drei Dinge immer die Liebe sein wird.
–Apostel
Paulus-
Seit das Flugzeug meiner Eltern vor ein paar Jahren über dem Atlantik
auf mysteriöse Weise verschwunden war, hegte ich ein gewisses Unbehagen dem Meer
gegenüber. Nun ließ ich zum ersten Mal seit langer Zeit seine Wellen so nahe an
mich herankommen, dass die auslaufende Gischt meine Füße überspülte. Ein
Frösteln überlief meinen Körper und schien ihn mit Eiskristallen zu übersäen.
Nichts hatte sich geändert. Im
Grunde wusste ich, dass ich dem Meer keine Schuld geben konnte, dennoch hasste
ich es für sein Schweigen, für seine Unergründlichkeit und seine Weite, die ich
früher geliebt hatte.
Ich war mir sicher, dass Mom und
Dad zusammen mit den anderen Passagieren zu Gefangenen der Tiefen des Meeres
geworden waren. Schon oft hatte ich davon geträumt. Nachtfantasien, in denen
ich ihre aufgerissenen Münder sah, aus denen anstatt verzweifelter Schreie
Wasserblasen stiegen, die mit mir zurück zur Oberfläche trieben. Jedes Mal
versuchte ich bei Mom und Dad zu bleiben, nach ihnen zu greifen, sie mit mir zu
nehmen, doch ich schaffte es nie. Der Meeresboden, in dem das Flugzeug feststeckte,
hielt sie fest. Durch unsichtbare Seile waren sie mit ihm verbunden.
Ich zog den Reißverschluss meiner
Jacke bis zum Kinn und blickte über das Meer hinweg in das Abendrot, das sich
über dem Sylter Wattenmeer ausdehnte.
Als Kind war ich hier oft mit
meinen Eltern zusammen zu Besuch bei meiner Tante Mathilda gewesen, bei der ich
nun bereits seit fünf Jahren wohnte. Sie war die einzige Verwandte, die ich
noch hatte, und ich war ihr mehr als dankbar, dass sie mich damals nicht in ein
Heim gesteckt hatte, als meine Eltern verschwanden. Da war ich gerade vierzehn
geworden. Ich biss mir auf die Zunge, um die Tränen zu unterdrücken.
Heute wäre Moms Geburtstag, den
wir mit Sicherheit groß gefeiert hätten. Es war ein runder, ihr Vierzigster.
Ich warf eine Kusshand Richtung Himmel, da hörte ich die Stimme meiner Tante
hinter mir.
»Der Sand ist doch viel zu kalt,
Emma!«
Sie hatte recht, also schlüpfte
ich in meine weißen Turnschuhe, ging ein paar Schritte zurück und drehte mich
zu ihr um. Sie stand, bepackt mit einem Korb voller Wäsche, auf der Holzveranda
ihres kleinen blau gestrichenen Hauses mit den weißen Fensterläden. Für ein
paar Sekunden hielt sie inne und blickte nachdenklich in meine Richtung.
Der Wind wirbelte ihre kurzen,
blonden Locken durcheinander und umtanzte ihren zierlichen Körper. Mein Herz
schlug schneller. Von weitem sah sie aus wie meine Mutter, die beiden hätten
Zwillinge sein können. Ich liebte sie von ganzem Herzen. Sie war eine
sanftmütige Person. Auch das hatte sie mit Mom gemein, wenngleich sie nach außen
hin manchmal ein bisschen schroffer wirkte.
»Alles okay?«, rief sie
schließlich.
Ich nickte, setzte ein Lächeln auf
und winkte ihr, damit sie sich keine Sorgen machte.
»Ich helfe dir dann mit der
Wäsche«, entgegnete ich und merkte, wie meine Stimme am Ende leicht kippte.
»Ist nicht viel. Das schaffe ich
schon. Geh du lieber mal wieder nach Tinnum zu deinen Freunden. Würde dir
guttun. Mel hat vorhin angerufen, sie vermisst dich schon«, gab sie zurück und
verschwand dann nach drinnen.
Der Gedanke, mal wieder mit meiner
Freundin zu quatschen, war nicht schlecht, doch heute blieb ich lieber allein
und schickte den Wellen noch einen Geburtstagsgruß für Mom hinterher, den sie
vielleicht sogar zu ihr tragen würden. Danach lauschte ich dem Tosen der See,
während der Wind noch einen Tick kühler wurde und über mein langes, schwarzes
Haar strich, als wolle er mich aufheitern.
Mein Blick verlor sich in den
wogenden Wellen und plötzlich glaubte ich, es wieder zu hören. Diesen melancholischen
und zugleich wunderschönen Gesang, der von der Gischt zu mir getragen wurde.
Ich atmete so leise wie nur
möglich, aus Angst, ihn wieder zu vertreiben, und hielt ganz still. Dieses Mal
war er intensiver als sonst und mir war, als wolle er mich anlocken. Ich war
mir sicher, sicherer denn je, dass dieser Gesang real war. Ich hatte mir das
nicht eingebildet. Nie. Schnell machte ich kehrt und rannte auf das Haus zu.
»Tante Tilli?«
Ich eilte durchs Haus, in dem mir
jeder Winkel der liebevoll im Landhausstil eingerichteten Räume vertraut war.
Schließlich fand ich Tante Tilli, wie ihre Freunde und ich sie gerne nannten,
in ihrem Bügelzimmer zwischen roséfarbenen Bettlaken.
Sie blies sich eine ihrer Locken
aus der Stirn und hob den Blick. In ihren wasserblauen Augen lag ein besorgter
Ausdruck.
»Ist was passiert? Du bist ja ganz
bleich.«
Ich ergriff ihre Hände. »Der
Gesang. Er ist wieder da. Komm schnell!«
»Und ich dachte schon sonst was.«
Tante Mathilda stellte das Bügeleisen ab und folgte mir mit einem Seufzen.
»Er ist lauter als sonst. Dieses
Mal wirst du es auch hören, bestimmt. Ich bilde es mir nicht ein.«
Zurück am Strand hielt ich
gespannt die Luft an, während wir zusammen lauschten. Tatsächlich ließ der
mystische Gesang nicht lange auf sich warten. Nirgends zuvor hatte ich derart
klare, helle und gleichzeitig traurigere Stimmen gehört.
Gespannt beobachtete ich meine
Tante. Ihre Mimik wirkte angestrengt. Dann schüttelte sie den Kopf und lockerte
sich. »Tut mir leid, Emma. Ich höre nichts außer dem gewohnten Rauschen des
Meeres.«
Das konnte sie doch unmöglich
überhören. Enttäuscht starrte ich sie an, aber ihr Blick war eindeutig. Sie
vernahm nicht einen Ton.
»Das Meer hat dieses Lied, das du
zu hören glaubst, wohl allein für dich geschrieben, Emma. Aber manchmal spielen
uns auch die Sinne einen Streich.«
»Ich bilde es mir nicht ein!«,
flüsterte ich, während meine Tante mir sanft über den Rücken strich.
»Wir sollten Dr. Morton anrufen.
Ich meine, vielleicht sind auch die Tabletten dran schuld. Er hat ja gesagt,
dass sie leichte Wahnvorstellungen hervorrufen können.«
Ich schüttelte den Kopf und ließ
ein wenig Sand durch meine Finger rieseln. »Ehrlich gesagt hab ich noch keine
einzige von diesen komischen Pillen geschluckt. Ich brauche sie nicht. Sie
können mir Mom und Dad auch nicht wiederbringen.«
Tante Mathilda schluckte. »Aber
sie können dir ein wenig innere Ruhe verschaffen.«
Daran glaubte ich nicht.
Minutenlang lag Stille zwischen uns und allmählich verebbte der Gesang.
»Sie haben aufgehört zu singen«,
sagte ich.
Tante Mathilda presste kurz die
Lippen aufeinander. »Ich glaube dir ja, dass du sie wirklich hörst. Ich weiß
nur nicht, was ich dazu sagen soll. Ich halte dich nicht für verrückt oder
dergleichen. Aber es macht mir Sorgen.«
Mein Blick schweifte erneut aufs
Meer hinaus.
»Das will ich nicht, Tante Tilli.«
Sie legte einen Arm um mich und
drückte mich an sich. »Ich wünschte, ich könnte sie dir zurückbringen. Ich vermisse
sie auch, sehr sogar.«
Ich atmete tief durch. »Es ist
diese Ungewissheit, die so schlimm ist.«
Es tat immer noch so weh, als wäre
das Flugzeug meiner Eltern erst gestern über dem Meer verschwunden. Bis heute
waren alle Suchaktionen im Sand verlaufen. Keine Spur. Nichts. Ich schmiegte
mich an Tante Tilli, die die gleiche Wärme ausstrahlte, wie meine Mutter es
immer getan hatte. Das machte es etwas leichter für mich.
Der größte Unterschied zwischen
den beiden war der Kleidungsstil. Während Mom schicke Kleidung und dezentes
Make-Up liebte, bevorzugte Tante Mathilda Jeans, Turnschuhe und weite Pullover
– ungeschminkt. Wenn ich genau überlegte, gab es da noch einen. Mom war eine
treue Seele, die meinen Vater wohl auch nicht einmal in Gedanken gegen einen
anderen ausgetauscht hätte.
Tante Mathilda hingegen liebte die
Freiheit. Nie im Traum wäre ihr in den Sinn gekommen, sich fest an einen Mann
zu binden. Was mich angeht – ich war meinem Traumprinzen noch nicht begegnet
und ehrlich gesagt interessierten Jungs mich auch nicht so brennend, was
vielleicht auch daran lag, dass ich bisher nur Kumpeltypen oder Machos über den
Weg gelaufen war. Zurzeit konzentrierte ich mich lieber auf meine Ausbildung
zur Floristin, was mir viel Spaß machte. Schließlich trat ich damit in Moms
Fußstapfen. Sicher würde ihr das gefallen. Sie hatte einen kleinen Laden
besessen, während mein Vater gerne Urlaub im Reich der Fantasie gemacht hatte.
Meine Mutter und er hatten sich bei einer seiner Lesungen kennengelernt. Er war
ein Buchautor, der ursprünglich aus England kam. Seine Geschichten steckten
voller mystischer Geheimnisse, die mich und viele andere begeisterten. Er hätte
wohl nie gedacht, dass er selbst einmal Teil einer mysteriösen Geschichte wie
der von dem Verschwinden des Flugzeugs werden würde. Ich vermisste ihn
schrecklich.
»Na, alles klar bei euch?«, rief
jemand in unmittelbarer Nähe, dessen Stimme mir gut bekannt war. Sie gehörte
dem alten, grauäugigen Seebären Georg, einem Fischer aus dem Ort.
Tante Mathilda errötete leicht und
straffte die Schultern. Georg war einer ihrer Verehrer, den sie schon seit
einigen Jahren zappeln ließ. Er kam, wie ich fand, genau zur richtigen Zeit.
Sein Besuch holte uns aus unserem Gedankenloch.
»Wir waren vorhin draußen. Hab
frische Krabben dabei.«
Tante Mathilda hängte sich bei mir
ein. »Kommst du mit rein? Ich mach uns meinen Schokoladentee. Der ist gut für
die Seele.«
»Ich glaube, das ist Georg auch«,
flüsterte ich und zwinkerte ihr zu. Mathilda tat so, als hätte sie es nicht
gehört. Georg setzte den Sack, den er über dem Rücken trug, ab und streckte
seinen muskulösen Körper, der Tante Mathildas um mindestens zwei Köpfe
überragte.
»Alter Angeber.« Tante Mathilda
lachte.
»Geh schon vor. Ich komm gleich
nach«, sagte ich.
Meine Tante hauchte mir einen Kuss
auf die Stirn und ging zu Georg hinüber. Bevor ich ihnen folgte, schickte ich
noch zwei Fragen aufs Meer hinaus: »Wo sind sie? Ist der Gesang etwa ein
Zeichen? Wenn ja, dann brauche ich mehr davon.«
Ich klammerte mich an viele
Kleinigkeiten, egal wie dünn die Seile, an denen sie hingen, auch waren. Die
Hoffnung war pure Überlebensstrategie.
Georg und Tante Mathilda saßen
bereits an dem viereckigen Holztisch in der Küche bei Tee und Gebäck. Kaum
hatte ich mich auf meinem Platz niedergelassen, schob mir Tante Mathilda eine
Tasse mit heißem Tee zu, der nach Weihnachten roch – Zimt, Nelken, Schokolade.
Am Ende des Sommers einen Weihnachtstee zu trinken war zwar unpassend, konnte
jedoch, wie ich nach ein paar Schlucken feststellte, wahre Wunder bewirken. Ich
fühlte mich wie in eine Decke gehüllt und liebkost.
»Du solltest auch was essen,
Schatz. Du wirst ja immer dünner.«
»Das täuscht«, erwiderte ich
schnell, was Tilli kurz aufseufzen ließ.
»Dein Tee ist wirklich der beste
der Insel, Tilli«, schwärmte Georg und schnäuzte sich in ein grünes Stofftaschentuch.
»Na, übertreib mal nicht«, winkte
Tante Mathilda ab, doch Georg hörte nicht auf, sie mit Komplimenten zu überschütten,
die ihre Wangen noch mehr erhitzten. Sie stand auf und ging auf die Veranda
hinaus. Angeblich, um dort nach ihren neuen Teepflanzen zu schauen, ich glaube
aber eher aus Verlegenheit.
»Ihren Lungenwurztee meinst du
damit aber nicht, oder?«, fragte ich, woraufhin er mir zuzwinkerte.
»Du bringst sie zum Schmelzen,
Georg.« Ich stupste den Fischer an.
»Sie ist ein harter Brocken, aber
ich geb nicht auf. Jeder Eisberg schmilzt einmal«, erwiderte er.
In dem Moment kam Tilli zurück.
»Was gibt’s denn zu tuscheln?«, fragte sie, da verfinsterte sich Georgs Mimik
plötzlich.
Er zeigte auf das Radio. »Psssst!
Hört zu!«
Stirnrunzelnd lauschten wir den
Worten des Nachrichtensprechers, die mir einen Schauer nach dem anderen über
den Rücken jagten.
»Kein Funkspruch, kein Notsignal
von automatisch auslösenden Crashsendern. Experten gehen von keiner Entführung,
sondern von einem Absturz der Passagiermaschine über dem Atlantik aus. Die
Suchaktionen sind in vollem Gange. Bislang allerdings ohne Erfolg.«
In meinen Ohren begann es zu
rauschen, als stünde ich wieder am Strand. Ich verstand kein einziges Wort mehr
von dem, was der Mann aus dem Radio sagte. In meinem Kopf tobte ein Orkan, der
meine Gedanken durcheinanderwirbelte, bis mir schwindlig wurde. Es war wieder
passiert! Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Georg auf Tante Mathildas Anweisung
hin das Radio abschaltete. Sie setzte sich und rutschte mit ihrem Stuhl nahe an
mich heran. Ihre Hände legten sich auf meine, die auf meinen Beinen ruhten.
Meine Handinnenflächen schwitzten vor innerlichem Aufruhr.
Ich sah meine Eltern direkt vor
mir, wie sie mich zum Abschied geküsst hatten und mir versprachen, etwas
Schönes aus Atlanta mitzubringen.
»Hätte ich sie nur zurückgehalten
oder wäre doch mitgeflogen«, stotterte ich und spürte, wie mir eine Träne über
die rechte Wange rollte.
Tante Mathilda ummantelte meine
Hände mit ihren. »Sei mir nicht böse. Aber du weißt, wie ich denke«, entgegnete
sie, bemüht, ein Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
»Es kommt alles so, wie es kommen
muss und soll, ich weiß. Aber ich hab das Gefühl, als wäre ich schuld«, brach
es aus mir heraus.
Georg sah betreten drein, wagte es
aber nicht, etwas zu dem Thema zu sagen. Er wusste wohl, dass er mit seiner oft
rauen Art vielleicht am Ende sogar ins Fettnäpfchen getreten wäre. Harte
Schale, weicher Kern. In seinem Fall traf das Klischee absolut zu und seine
Zurückhaltung war zudem mehr wert als tausend Worte.
Er stand auf und legte uns seine
breiten, mit Schrunden übersäten Hände auf die Schultern, um zu zeigen, dass er
da war, jederzeit, um uns zu stützen.
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